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Corona wirkt wie ein Brennglas, sagt der Armutsforscher Christoph Butterwegge im Interview mit der taz. Das eigentliche Ungleichheitsvirus sei aber der Neoliberalismus.

Auszüge:

"Die Phase des Lockdowns im Frühjahr hat drastisch vor Augen geführt, dass ein großer Teil der in Deutschland lebenden Menschen kaum in der Lage ist, finanziell über die Runden zu kommen, wenn das reguläre Einkommen mal für ein paar Wochen ausfällt. Bis tief in die Mittelschicht hinein fehlt es schlicht an Rücklagen. Letztlich kommt es nicht auf das Einkommen, sondern auf das Vermögen an. Es ist hierzulande besonders ungleich verteilt und konzentriert sich bei 45 hyperreichen Familien, die mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung – über 40 Millionen Menschen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hat kein nennenswertes Vermögen und ist daher nur eine Kündigung, eine schwere Krankheit oder einen neuerlichen Lockdown von der Armut entfernt. [...]

Ich bin ein Befürworter des Kurzarbeitergeldes, weil es Massenentlassungen verhindern kann. Aber ich halte es für einen Skandal, wenn die Bundesagentur für Arbeit durch Zahlung von Kurzarbeitergeld einen Großteil der Lohnkosten von BMW übernimmt, obwohl genug Geld da war, um den Aktionären eine satte Dividende von 1,64 Milliarden Euro zu zahlen. Davon hat das reichste Geschwisterpaar unseres Landes, Susanne Klatten und Stefan Quandt, mehr als 750 Millionen Euro eingestrichen. Dänemark und Frankreich binden Überbrückungshilfen an die Bedingung, dass ein Unternehmen keine Gewinne ausschüttet. Das würde ich mir für Deutschland auch wünschen. Auf der anderen Seite wurden die am meisten Bedürftigen von den Hilfsmaßnahmen viel zu wenig bedacht. Die Bereitschaft des Staates zu helfen ist je nach dem sozialen Status unterschiedlich stark ausgeprägt. [...]

In der Pandemie hat sich die Ungleichheit aufgrund der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und einer Politik verschärft, die den „Wirtschaftsstandort“ vergöttert, Interessen der Finanzinvestoren bedient und daher sozial polarisierend statt egalisierend wirkt. Das Kardinalproblem unserer Gesellschaft ist die bestehende Verteilungsschieflage. [...]

Wer Armut wirksam bekämpfen will, muss den privaten Reichtum antasten. Der pandemische Ausnahmezustand hat den Wert der Solidarität vielen Menschen wieder vor Augen geführt. Sie merken, dass ihnen die Fixierung auf den Markt und die Konkurrenz in einer solchen Situation wenig nützt. Dazu zählt auch die Erkenntnis, dass eine weitere Ökonomisierung, Finanzialisierung und Privatisierung vor allem des Gesundheitswesens ein Irrweg wäre."

 

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Koordinierungsstelle Schuldnerberatung in Schleswig-Holstein